… spielen sich manchmal auch im Büro ab. Heute fiel mir ein Schauspiel aus der Vergangenheit ein, das mir meine damalige Zimmergenossin darbot. Ich hatte sie bis dahin als recht ruhige Kollegin erlebt, die sich zwar manchmal über etwas ereiferte, aber ansonsten einen vernünftigen Eindruck machte. Eines Tages jedoch präsentierte sie mir eine völlig neue Seite.
Am Morgen jenes ereignisreichen Tages erschien sie glücklich und zufrieden am Arbeitsplatz. Freudig teilte sie mir umgehend mit, dass sie endlich die EC-Karte für ihr neues Konto bekommen hatte und jetzt wieder bargeldlos shoppen gehen konnte. Die erste EC-Karte war auf dem Postweg verschollen und sie hatte schon Bedenken gehabt, jemand könnte ihr Konto leer räumen. Sie hatte bei der Bank angerufen und eine neue Karte angefordert, aber da hatte man ihr mitgeteilt, dass sie persönlich in der Filiale erscheinen müsse. Schon das empfand sie als unzumutbar und sie marschierte damals mit viel Gezeter in der Mittagspause los. Eine Woche danach hatte sie immer noch nicht ihre neue Karte und sie befürchtete, dass auch diese abhanden gekommen sein könnte. Ein Anruf bei der Bank machte jedoch klar, dass der Vorgang gerade erst bearbeitet worden war und sie in Kürze die Karte erhalten müsste. Täglich hoffte sie auf die Ankunft, nichts tat sich, sie begann schon wieder zu verzweifeln, rief nach zwei Wochen erneut bei der Bank an, wo man ihr mitteilte, die Karte sei vor zwei Tagen verschickt worden. An besagtem Tag kam sie endlich mit dem langersehnten Brief von der Bank ins Büro. Als sie den Umschlag öffnete und die Karte herausnahm, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Ich zuckte zusammen und dachte schon, man hätte ihr statt der EC-Karte eine Vogelspinne eingepackt. Nein, viel schlimmer, ihr Name war falsch geschrieben! Erneute Verzweiflung, Anrufe, Rückrufe, Aufregung, Heulen, verzweifeltes Telefonat mit ihrem Mann … Ich bedauerte sie zwar, konnte auch ihren Ärger nachvollziehen, aber dass sie sich wegen dieses Vorfalls vor lauter Verzweiflung fast aus dem Fenster stürzen wollte, war mir doch etwas fremd. Du meine Güte, sie war gesund, führte ein glückliches Leben, hatte einen schönen Arbeitsplatz, immer genug zu essen, da musste sie sich doch wegen einer blöden EC-Karte nicht so aufführen! Sie bekam Kopfschmerzen vor lauter Aufregung. Ich sagte ihr, das sei es nicht wert, aber sie litt weiter. Nach einem erneuten Telefonat mit der Bank beschloss sie, dass sie sofort dort hinfahren müsse. Ansonsten könne sie sich überhaupt nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren. Sie marschierte also zum Abteilungsleiter, heulte ihm ihr Leid vor und durfte dann sogar mit einem Firmenwagen zur Bank fahren. Als sie zur Tür hinausging, atmete ich erst einmal tief durch und war froh, dass wieder Ruhe im Karton war. Allerdings befürchtete ich, sie würde genauso aufgedreht wieder zurückkommen und versuchen, mir den Besuch dort in allen Einzelheiten zu schildern. Ich vereinbarte kurzerhand mit einer anderen Kollegin einen Besprechungstermin und ließ mich den Rest des Tages nicht mehr in unserem Büro blicken.
Hungersnöte, Überschwemmungen, Erdbeben, Epidemien, schwere Krankheiten oder der Tod eines Menschen – das sind Schicksalsschläge, bei denen man sich so verhalten kann, aber ein Ärgernis mit einer EC-Karte ist doch wahrhaft kein menschliches Drama.
Menschliche Dramen …
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