Aufgelöst

Posted on 20 Dezember 2004 at 16:33 in Persönlich.

Heute Abend sollte der Erfolg gefeiert werden – der Erfolg, der hoffentlich eintreffen würde. Die Gastgeber, nervös und angespannt, hatten sich in eine Ecke des Raums zurückgezogen und warteten auf das Ergebnis. Die Gäste standen in kleinen Grüppchen zusammen und warfen immer wieder verstohlene Blicke auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde, dann würde die Entscheidung fallen. Erst dann konnte die Feier losgehen. Ich hatte zum Glück eine ehemalige Kollegin getroffen und vertiefte mich gleich in ein Gespräch mit ihr. Dann war es endlich soweit: Die Uhr zeigte sechs, die Gespräche verstummten, dann öffnete sich die Eingangstür und mit einem triumphierenden “Wir haben es geschafft!” trat der Big Boss ein und eröffnete damit die Party. Die Sektkorken knallten und Tablette mit gefüllten Gläsern wurden herumgereicht. Leider hatte ich das falsche Glas erwischt; während alle anderen aus schlanken Sektgläsern tranken, hielt ich eine breite Sektschale in der Hand, aus der bei der kleinsten Bewegung der Sekt überzuschwappen drohte. Bei nächster Gelegenheit würde ich diese Schale unauffällig verschwinden lassen. Im Nebenraum wurde verkündet, dass nun mit dem Essen begonnen werden konnte. In dem Raum, in dem ich mich aufhielt, stand ein langer Tisch mit einer weißen Tischdecke, an das eine Ende hatte man noch einen kleinen Tisch mit roter Papiertischdecke geschoben. Einige der Herren hatten sich ihrer Anzugjacken entledigt und schleppten aus dem Nachbarraum Platten mit kalten Speisen heran. Auf einigen Plätzen am Tisch standen Stapel mit vier Tellern. Aha, das war wohl so gedacht, dass man sich von oben nach unten “durch die Teller” aß, es würde also vier Gänge geben. Einer der Herren erklärte, man könne sich auch nach Belieben bei den kalten Platten bedienen. Da ich sowieso gerade neben dem roten Tisch stand, ließ ich mich dort neben meiner ehemaligen Kollegin nieder. Ich hatte eine Scheibe Fleisch ergattert, die lag nun einsam auf dem Teller und wartete vergeblich auf Salate, Brot oder Ähnliches. Die Tellerstapel waren wieder verschwunden und jeder hatte nur einen einzigen Teller vor sich. Das Besteck war auch ausgegangen, es fehlten Messer, und so warf ich einen Blick durch die Tür in den Nebenraum. Dort saßen sie alle, die wichtigen Männer in den dunklen Anzügen. Auch der Mann, mit dem ich gekommen war, dessen Begleitung ich war, hielt sich dort auf. Jeder hatte einen Tellerstapel vor sich stehen, und die Bedienungen waren eifrig dabei, die Suppe zu verteilen und Getränke auszuschenken. “Sieh an, nur die wichtigen Leute bekommen Tellerstapel”, dachte ich mir, “wir Fußvolk im Nebenraum müssen mit den schlichten kalten Platten Vorlieb nehmen.” Auf einem Tisch in der Ecke fand ich noch weiteres Besteck und kehrte damit an den Tisch zurück. Obwohl es mir so vorkam, als ob wir mehr oder weniger in einem Abstellraum saßen und gar nicht richtig dazugehörten, war die Stimmung an unserem Tisch sehr gut. Mich wurmte es nur ein wenig, dass der Mann, den ich begleitete, sich gar nicht dafür interessierte, wo ich geblieben war. Hatte er nicht gesagt, ich solle unbedingt mitkommen, um an seiner Seite zu sein und seine Geschäftspartner kennen zu lernen? Nach dem Essen schlenderte ich betont gelangweilt in den Nebenraum. Da stand er neben einem der Tische. Er fragte mich nicht, wo ich gewesen war, sondern sagte mir nur, dass der Herr Wichtig-Hoch-Zwei mich unbedingt begrüßen wollte. Er führte mich zu dessen Tisch. Das erste, was mir auffiel, war der helle Anzug dieses Herrn. Er schien tatsächlich so wichtig zu sein, dass er sich nicht den allgemeinen Kleiderregeln unterwerfen musste. Herr Wichtig achtete überhaupt nicht darauf, dass wir vor seinem Tisch standen und unterhielt sich weiter mit der farblos wirkenden Dame an seiner linken Seite. Der Mann an meiner Seite sprach ihn schließlich an und stellte mich vor. Ich hatte erwartet, dass Herr Wichtig sich von seinem Platz erheben und mir die Hand geben würde. Doch weit gefehlt: Er streifte mich lediglich mit einem flüchtigen Blick, stellte wohl fest, dass ich uninteressant war und wandte sich wieder seiner Gesprächspartnerin zu. Im Laufe des Abends verwandelte ich mich mehr und mehr in ein unbedeutendes Nichts. Schließlich löste ich mich in Luft auf und niemand bemerkte, dass ich nicht mehr da wahr. Nur ein kleiner Luftzug wehte durch den Raum und ließ für einen Moment die Kerzen flackern.

(Nachtrag 21.12.04: Das war alles nur geträumt.)

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